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Handlungsorientierung für die Praxis zum grenzwahrenden Umgang mit Mädchen und Jungen und zu sicherem Handeln in Fällen von (massivem) Fehlverhalten

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ist eine gemeinsam durch die Einrichtungen und Gesellschaften erarbeitete Grundlage für unser tägliches Handeln. 

Wozu eine Handlungsorientierung zum Fehlverhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen im Abhängigkeitsverhältnis?

Mädchen und Jungen, die in unseren ambulanten und stationären Hilfeangeboten untergebracht sind, befinden sich uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber in einem Abhängigkeitsverhältnis. Ob Wirtschaftskraft, Erzieher, Praktikantin oder Bereichsleiterin – sie alle haben mit ihrer Tätigkeit im Diakonieverbund Schweicheln die Verantwortung übernommen, die physische und psychische Un- versehrtheit der Kinder und Jugendlichen, die bei uns leben und ler- nen oder von uns betreut werden, zu gewährleisten.

Diese Verantwortung wird noch einmal deutlicher, wenn wir uns bewusst machen, dass viele Mädchen und Jungen in unseren Einrichtungen bereits eine Vorgeschichte haben, die durch körperliche wie seelische Grenzverletzungen im sozialen Nahraum geprägt ist. Gerade sie sind besonders darauf angewiesen, einen liebevollen und grenzwahrenden Umgang durch alle Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Leitungskräfte zu erfahren, damit alte Wunden heilen können und neue erst gar nicht entstehen.

Fälschlicherweise wird davon ausgegangen, dass massives Fehlverhalten von Pädagoginnen und Pädagogen in der Jugendhilfe nur ganz selten vorkommt. Richtig daran ist jedoch, dass das Fehlverhalten selten „ans Licht“ kommt. Deshalb ist es wichtig, Fehlverhalten durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Einrichtungen zu verhindern und in einer ständigen Auseinandersetzung hierüber zu bleiben, einer Auseinandersetzung mit den Themen „Grenzen, Macht und Abhängigkeit“, die untereinander, aber auch in alters- und entwicklungsangemessener Weise mit den Kindern und Jugendlichen selbst geführt werden muss.

Im Sommer 2002 hat der Diakonieverbund Schweicheln deshalb in seinen Einrichtungen eine Befragung von Mädchen und Jungen zu Fehlverhalten mit der Fragestellung durchgeführt: Was dürfen Betreuerinnen und Betreuer nicht? Die Antworten der Befragten sind eindeutig: Unerwünschter Körperkontakt, Bedrohung, Zwang, Schlagen, sexuelle Belästigung, Anschreien und aggressives Verhalten von Betreuerinnen und Betreuern sind nur einige Beispiele, die von Mädchen und Jungen als Fehlverhalten pädagogischer Fachkräfte genannt wurden. Und zweifelsfrei handelt es sich bei diesen Taten um Fehlverhalten. Doch wo beginnt eine „Bedrohung“ , wo ein „Zwang“?

Das ist oft schwer auszumachen, denn nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch Worte und Blicke können Kinder und Jugendliche – wie auch uns Erwachsene – verletzen und extrem unter Druck setzen. Der sicherste Weg, eigenes Fehlverhalten zu vermeiden, ist es, eigene Unsicherheiten zur Diskussion zu stellen, sich immer wieder das notwendige Fac hwissen anzueignen und die Empfindungen und Wahrnehmungen der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt des eigenen Handelns zu stellen und ihre Grenzen zu akzeptieren: Wenn sie Bedrohung und Zwang empfinden, ist es an der Zeit, das eigene Verhalten und das von Kolleginnen, Kollegen und Leitungskräften (selbst)kritisch zu hinterfragen, zu diskutieren und zu verän dern. Die offene Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, das Entwickeln von ethischen Grundsätzen in der Arbeit wie auch die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen selbst in derartige Fragestellungen zum Umgang miteinander geben den Worten „Prävention“ und „Partizipation“ erst eine Bedeutung. Die Qualität der pädagogischen Arbeit in unseren Einrichtungen wird zunehmend auch daran gemes- sen, ob und wie diese Grundbegriffe in der Praxis Anwendung finden.

Dabei spielen das berufliche Selbstverständnis und Selbstwertgefühl und die eigene Haltung in der pädagogischen Arbeit eine wesentliche Rolle. Wir erwarten im pädagogischen Alltag, dass Kinder und J ugend- liche uns gegenüber Grenzen wahren. Dies wird aber nur gesche hen, wenn wir auch unsererseits einen grenzwahrenden Umgang mit Kindern und Jugendlichen praktizieren.

Es gibt im pädagogischen Alltag Formen von massivem Fehlverhalten, die für uns weder diskutabel noch hinnehmbar sind, weil sie die physische und psychische Integrität von Kindern und Jugendlichen auf das Gröbste verletzen und zudem vom Gesetzgeber unter Strafe gestellt sind. Dazu gehören in erster Linie sexuelle Übergriffe und körperliche Gewalt gegenüber Mädchen und Jungen. Hier ist das Kindeswohl gefährdet, begehen Täter und Täterinnen eine Straftat und sind wir alle aufgefordert und verpflichtet, solche Taten schnellstmöglich offen zu legen, zu beenden und vonseiten des Vorstandes und der Einrichtungsleitungen deutliche Konsequenzen gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu ergreifen.

Klare Strukturen und ein offenes Kommunikationsklima, an dem immer wieder gearbeitet werden muss, sollen in den Einrichtungen des Diakonieverbundes Schw eicheln sicherstellen, dass derartiges massives Fehlverhalten verhindert werden – und wenn es dennoch vorkommt – schnellstmöglich erkannt und im weiteren beendet werden kann.

Das Thema „Fehlverhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen“ ist immer noch sehr tabuisiert, obwohl (massives) Fehlverhalten in keiner Institution ausgeschlossen werden kann. Es fällt ungleich schwerer, sexuelle Übergriffe und seelische wie körper- liche Gewalt innerhalb der eigenen Reihen denn außerhalb wahrzu- nehmen und die Ausübenden in Verantwortung zu nehmen. Dieser Umstand wird dadurch begünstigt, dass das Wahrnehmen massiven Fehlverhaltens eines Kollegen oder einer Vorgesetzten häufig das auslöst, was auch bei Übergriffen im familiären Bereich ausgelöst wird: Diejenigen, die etwas mitbekommen, trauen zunächst ihrer ei- genen Wahrnehmung nicht, sind schockiert, verunsichert und in Loyalitätskonflikten gefangen. Oft sind Ohnmachtsgefühle oder auch blinder Aktionismus die Folge und verhindern eine sinnvolle Hilfe für die betroffenen Mädchen und Jungen, um die sich das Netz der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins immer weiter zuzieht. Dies mussten wir schmerzlich in der Ev. Jugendhilfe Geltow erfahren. Die im Folgenden aufgeführten Informationen und praxisnahen Beispiele sollen allen Angestellten im Diakonieverbund Schweicheln helfen, massives Fehlverhalten, bei dem es immer um Machtmiss- brauch und Grenzüberschreitungen zulasten von Mädchen und Jungen geht, leichter zu erkennen, Ohnmachtsgefühlen durch starke Verunsicherung im Umgang mit Verdachtsfällen entgegenzuwirken und durch die offene Bearbeitung des Themas in unseren Einrichtun- gen den größtmöglichen Schutz und die Sicherheit der uns anver- trauten Mädchen und Jungen zu gewährleisten.